Theorie und Praxis – zwei Welten
Eine konsequente Verlustbegrenzung ist Pflicht. Und zwar nicht nur in der Theorie, sondern sie muss in der Praxis gelebt werden. Sonst besteht trotz schöner Erfolge die Gefahr, dass die Börse die Gewinne zurückfordert – bis hin zur Zwangsliquidation des Depots. Leider halte ich mich selbst nicht immer daran, aber ich bin im hohen Alter hoffentlich lernfähig.
Die Volksaktie ist überall
Die Wochen um den Jahreswechsel 2007/08 (wie der Nebenwerte-Crash in Deutschland) dürften jedem Zweifler (oder mittlerweile Verzweifeltem) erneut die existenzielle Bedeutung des Risikomanagements vor Augen geführt haben. Ist eine Aktie erst einmal abgestürzt, helfen keine Begründungen, Beschwichtigungen des Bankers, Analysten, Tagesschausprechers oder Unternehmensvorstands mehr. Noch schlimmer: was tun, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist? Etwa liegen lassen wie den ehemaligen Börsenstar Deutsche Telekom und sich der trügerischen Hoffnung hingeben „es wird schon wieder“? In solchen Situationen nimmt der emotionale und finanzielle Druck dramatisch zu…
Erst Top, dann Flop: Das Drama Deutsche Telekom steht stellvertretend für zahlreiche Werte. Wenn Aktien erst einmal fallen, kann es heftig werden – und eine Kurserholung „ewig“ dauern, wenn sie denn überhaupt kommt.
Stop-Loss als Haftpflichtversicherung
Aus diesem Grund versuche ich, Verluste immer klein zu halten – sonst können sie (gegen jede Vorstellungskraft) ausarten und das Depot ruinieren. Stop-Loss-Limite (auch mentale) sollten konsequent eingehalten werden – bitte nicht erst bei Minus 50%. Natürlich wird man gelegentlich ausgestoppt und der Wert erholt sich anschließend oder startet gar richtig durch. Das gehört leider dazu. Betrachten Sie unglücklich ausgestoppte Werte als eine Art Versicherungsprämie, die man gerne zahlt, wenn dadurch das Risiko weiter zunehmender Verluste begrenzt wird. Das Geld wird frei für neue Chancen.
Hüten Sie ihr Geld
Es ist viel wichtiger, auf seine Verluste aufzupassen als hinter potenziellen „Gewinnern“ herzulaufen. Das Kapital ist sonst irgendwann aufgezehrt, Chancen gibt es immer wieder – die können aber nur wahrgenommen werden, wenn ersteres nicht aufgezehrt wurde. Natürlich führt das in einem schwankungsintensiven Markt zu hektischen Umschichtungen, aber was wäre die Alternative? Es ist sehr belastend, einfach zuzuschauen wie Verluste immer größer werden…Tun Sie sich das nicht an.
Unkraut jäten
Falls ich Sie noch nicht überzeugt haben sollte hinsichtlich der Notwendigkeit klarer Regeln zur Verlustbegrenzung statt dem „Prinzip Hoffnung“ ausgeliefert zu sein, denken Sie bitte über folgenden Vergleich in Ruhe nach: Es ist wie bei der Pflege eines schönen Gartens: Das Unkraut wird gerupft (Stop-Loss), damit die schönen Pflanzen sich prächtig entfalten können (Gewinne laufen lassen). Leider rupft man gelegentlich junge Pflanzen aus, die man für Unkraut hält (unglücklich ausgestoppt, danach Kursrallye). Dennoch sollte die Hege und Pflege der guten Pflanzen den Garten erblühen lassen. Lässt man dagegen Unkraut seinen freien Lauf, verwildert der Garten sehr schnell. Den erwünschten Pflanzen fehlt der Freiraum zur Entfaltung. Möchte man das verhindern, ist konsequente Selektion oberste Pflicht.
Dschungel-Depots
Leider sehen viele Depots eher wie ein Dschungel aus: An Verlustpositionen wird zu lange festgehalten und Gewinneraktien zu schnell verkauft. Warum nicht mit dem Depot ähnlich sorgsam verfahren wie mit einem gut gepflegten Garten? Unsere genetisch bedingten Verhaltensweisen, die uns im Alltag beschützen, verhindern leider oft sinnvolle Börsenentscheidungen. Jason Zweig hat dazu ein empfehlenswertes Buch verfasst (Jason Zweig; Gier. Neuroökonomie: Wie wir ticken, wenn es ums Geld geht). Er beschreibt sehr schön die emotionalen Fallen, in die wir Menschen immer wieder tappen.